Manchmal glaube ich, ich muss Psychologie studiert und mindestens 40 Bücher über Feminismus gelesen haben, um zu wissen wie ich mein Aussehen jetzt eigentlich finden darf. Es ist paradox, dass uns inzwischen bei jeder Gelegenheit auf Instagram, TikTok und Twitter eingetrichtert wird, dass unser Äußeres gar nicht wichtig ist. Einerseits soll man sich darüber endlich mal nicht so viele Gedanken machen soll – andererseits geht es bei diesen Messages ja wieder nur um eins – unsere Optik! Wenn uns also nicht gerade gesagt wird, dass wir möglichst hübsch, dünn, dickärschig und weißzahnig sein sollen, dann wird uns suggeriert, dass es ja auch vollkommen egal ist, wie wir aussehen und dass es nur auf die inneren Werte ankommt. Verwirrt? Ja, bin ich auch. Ich habe ihn als weder vollumfänglich studiert, noch ein Rezept gegen ihn, diesen Schönheitswahn. Ich habe nicht einmal eine richtige Meinung darüber und vielleicht ist gerade das die Lösung.
Schönheit ist nicht egal
Es ist der aufdringliche, penetrante Micheal Wendler im Kampf hunderter Frauen gegen den Sexismus: “Baby, deine äußere Erscheinung ist EGAL!”
Könnten wir das Thema dann nicht einfach mal in Ruhe lassen? Nein, wir brauchen jede Woche neue Youtube Meinungsrotze, in der bis zum Erbrechen diskutiert wird, ob Schönheits-OPs und Hyaloron-Unterspritzungen jetzt Selbstverwirklichung und Freiheit der/des Einzelnen oder abgefuckter toxischer Schönheitswahn sind. Wollt ihr meine Meinung dazu? Pech gehabt, gibt es nicht! Ich habe echt nicht die Zeit und die Energie mich damit zu beschäftigen, ob die 2ml zusätzliche Flüssigkeit in meinen Lippen jetzt Selbstoptimierung, eine Schande für den Feminismus, ein Zwang oder einfach nur ganz geil sind. Ich möchte da einfach regelmäßig reinspritzen und meine Ruhe haben (That’s what he said).
Bin ich in einer toxischen Routine aus Zwangshandlungen gefangen, weil es mir irgendwie trotz allem einfach NICHT EGAL ist wie ich aussehe? Bin ich ignorant, weil ich oftmals keinen Bock habe darüber zu sinnieren, ob ich dieses oder jenes jetzt will, weil es mir drei Mal am Tag von Instagram vorgeschlagen wird?
Jetzt kommt vielleicht das allseits beliebte Argument: Bei dir Kitteh, mag es keinen Unterschied machen, ob du dem Schönheitswahn ausgesetzt wirst. Du bist so selbstbewusst und eine mündige Erwachsene Frau. Du kannst gut damit umgehen. Allein schon, weil du ja eh von Natur aus, groß, schlank und ohne größere Makel bist. Aber was ist mit den ganzen Jugendlichen, die durch diese ganzen Beauty-Standards und Ansprüche in den Wahnsinn getrieben werden? Denen müssen wir klar machen, dass sie schön sind, so wie sie sind. Dass sie keine dicken Lippen und Titten brauchen. Diese zerbrechlichen Geschöpfe sollen wissen, dass sie auch mit 10 Kilo zu viel, mit Pickeln und Schweißflecken wunderschöne Einhorn-Prinzessinnen sind. Auch wenn ein Großteil der Gesellschaft sie nicht so behandeln wird.
Schönheitswahn kann man nicht einfach abschalten
Erstmal ist das eine sehr oberflächliche Unterstellung. Ich komme also gut mit dem Schönheitswahn klar? Kein Problem, dass ich nie und nimmer und auch nicht unter Verwendung von 10.000 Euro und mit etlichen Schönheits-OPs aussehen werde, wie die Frauen in meinem Instafeed? Für mich ist das also alles so easy peasy und ich schaue nicht mindestens zwei Mal täglich in den Spiegel? Frage mich ob dieser Tanga immer schon eingeschnitten hat, ob meine Freundin mir nur aus Nettigkeit sagt, dass mein Hintern sehr juicy ist und ob mein Dekolleté eigentlich schon Falten wirft, wenn ich die Arme verschränke? Ne, juckt mich gar nicht – Fail Buzzer! Natürlich juckt es mich! Ich mache doch diese ganz scheiße mit Kniebeugen, Solarium und Wimpernkleben nicht, weil es mir so fucking egal ist und ich meine natürlichen Wimpern und meinen Teint absolut zureichend finde.
Ich bin dem Ganzen also genau so ausgesetzt wie jede:r Andere. Es prasselt jeden Tag indirekt auf mich ein. Sei sexy, aber nicht zu sexy. Außer du bist mega sexy, dann schon, aber dann lass allen Hate an dir abprallen. Liebe dich selbst, aber kauf dir dieses Crop-Top und erlaube dir auch schlechte Tage. Aber dann bitte Krone richten und weiter hustlen. Warte, vergiss die Pausen nicht, und genug zu trinken – Stopp, keinen Schnaps! Aber einer geht schon (krass, wie die jedes Wochenende abstürzt). Rasiere deine Beine, aber nicht, um Männern zu gefallen. Wenn du ihnen dann doch gefällst, finde das bitte scheiße, das war nicht der Plan. Mach Sport, aber weil es ein toller Ausgleich zum Alltag ist, nicht weil du so gerne Pommes frisst. Aber wenn du doch mal zu viel Pommes gefressen hast und 4 Kilo mehr wiegst, dann embrace bitte deine Curves. Wage es nicht zu sagen, dass du die wieder loswerden willst. Du bist schließlich nicht fett genug um auf deine Ernährung zu achten. Es könnte so anstrengen sein, wenn es mir nicht so am Arsch vorbei gehen würde.
Druck und Gegendruck
Klar ist die Grundmessage „Schönheitswahn ist kacke“ gerade für Heranwachsende eine Richtige und Wichtige. Aber es ist einfach absolut utopisch zu glauben, dass wir Frauen uns irgendwann völlig von Schönheitsidealen lossagen, wenn wir uns nur oft genug gegenseitig kräftig „wachrütteln“. Das Einzige was das nämlich bewirkt ist, dass uns noch schwindeliger wird. Wenn wir also die kommenden Generationen fair behandeln wollen, dann mit Ehrlichkeit. Denn – und das ist hart – es ist nicht egal wie du aussiehst. Schönheitswahn ist ein Bestandteil unserer Gesellschaft, den wir nicht einfach weg-self-loven können. Der Druck ist da. Zu suggerieren, dass man sich diesen halt einfach nicht aussetzen muss und dann glücklich sein kann, ist unrealistisch und mach nur eins: Noch mehr Druck.
Fakt ist: Es wird IMMER Menschen geben, die genau so aussehen (wollen), wie es der weitverbreitetste Anspruch an Ästhetik vorgibt. Diesen Menschen ständig zu sagen, sie wären schlechte Vorbilder und alles was sie tun ist irgendwie falsch – nur weil es für andere unerreichbar ist – DAS ist falsch.
Viel richtiger wäre es in meinen Augen damit aufzuhören ständig jeden für den Umgang mit dem eigenen Körper in eine Schublade zu stecken. Die macht sich die Titten? Entweder ist sie von Natur aus eine unglückliche, flachbrüstige Else, oder sie ist so eine oberflächliche Barbie, the bigger the better. Vielleicht ist es aber auch einfach nur Jasmin, die sich gerne ihre Brüste machen lassen würde. Ohne dass sie dir dafür ein Psychologisches Gutachten aushändigen muss.
Schönheitswahn lässt keine neutrale Position zu
Die Crux an der ganzen Sache ist, dass man in Sachen Schönheitswahn entweder dafür oder dagegen sein kann. Dazwischen gibt’s irgendwie nichts. Dann ist man vielleicht einer Seite mehr zugetan, aber irgendwie auch nicht authentisch. Ich kann doch nicht sagen, dass ich es erschreckend finde, dass keine Frau mehr ein Boomerang ohne Frankenseins Filter in der Fresse hochladen kann – aber gleichzeitig zum Botox gehen. Ja wieso eigentlich nicht? Wieso kann ich nicht man ganz eigenes persönliches individuelles Empfinden von falsch und nachvollziehbar haben? Ohne dass dieses Empfinden irgendwie validiert und global anwendbar sein muss?
Ich muss mich also immer irgendwie entscheiden: Finde ich Kyle Jenner jetzt geil oder finde ich sie kacke? Zu sagen, dass ich an diese Person noch nie einen Gedanken verschwendet habe, scheint unglaubwürdig. „Man sieht doch, dass du heute dies und jenes machst – das hast du früher so nicht gemacht. Das kommt ganz klar von…“.
Wenn wir aufhören zu urteilen, dann richtig
Wenn Aussehen für euch so unwichtig ist, wieso beschäftigt ihr euch dann stundenlang damit, welches Foto wie krass retuschiert ist, wer sich was machen lässt oder nicht machen lässt, ob rasierte Köpfe ein Zeichen für Feminismus sind oder wie Divers Drehbuch-Castings bei Heidi Klum sind? Und ja, da kann ich mir an die eigene Nase packen. Urteilen und Bewerten liegt ist unserer Natur. Ich sehe mir oft Selfies an und denke mir: „Faceapp, save!“ und zwar mit einer gewissen Wertung.
Die wahre Aufgabe ist also nicht der Kampf gegen den Schönheitswahn an sich, den wir eh nicht gewinnen können. Sondern der, wie viel Raum wir diesem Thema tatsächlich in unseren Köpfen geben. Indem wir eben aufhören Menschen ständig in zu schön, okay schön und nicht schön einzuteilen. Wie sehr sich jemand bemüht einem Ideal zu entsprechen und ob ihn/sie das krank macht, hast du nicht zu bewerten. Du kannst nicht in einem Kopf reingucken und sagen ob Jessica wirklich Essgestört oder einfach nur von Natur aus dünn ist. Du hast nicht zu entscheiden ob Nico Pumpen geht, weil er denkt er kriegt nur so die Weiber (oder weil das einfach sein Hobby ist). Und es geht dich auch einfach nichts an, wenn Vanessa sich die Lippen machen lässt. Obwohl sie das vorher nicht dran gedacht hat, es jetzt aber öfter auf TikTok sieht und es ihr eben gefällt.
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